Nach einer kurzen Einweisung ging es direkt los mit einem voll besetzten Bulli. Alle redeten miteinander, aber auch auf mich ein. Die Patientin aus der hintersten Reihe stellte mir ständig Fragen zum Weg. Der Patient davor erklärte mir, dass ich die Kupplung langsamer kommen lassen muss, und eine dritte erzählte mir währenddessen ausführlich von ihrem Leben. Das alles, während sich der Rest der Mitfahrer unterhielt. Fix und fertig erreichten wir den Parkplatz. Doch ich war zufrieden mit mir.
Dieses „Erfolgsgefühl“ begleitete mich immer öfter im Laufe meines Betheljahres. Ich wurde sicherer im Umgang mit den Patientinnen und Patienten, mit den Mitarbeitern und Kolleginnen und mit den Autos. Wenn ich nun morgens um 7 Uhr im Dienstzimmer stehe (woran ich mich noch immer nicht gewöhnt habe), weiß ich ganz genau, was meine Aufgaben sind, und ich habe die Freiheit alles so zu organisieren, wie es mir gut passt.
Schnell habe ich gemerkt, dass ich ein völlig falsches Bild von Psychiatrie hatte. Die Türen sind nicht durchgängig verschlossen. Die Patientinnen und Patienten sind ziemlich eigenständig und man muss sich nicht vor etwas oder vor jemandem fürchten. Dank meines Schnupperpraktikums, das man im Betheljahr machen darf, konnte ich auch Einblicke in die Akutpsychiatrie gewinnen. Doch auch dort sind die Verhältnisse nicht so erschreckend, wie viele Menschen es sich vorstellen. Oft werde ich gefragt, wie ich denn in der Psychiatrie arbeiten könne, und ob das nicht gruselig oder total krass wäre. Ich kann nur sagen, dass das überhaupt nicht der Fall ist. Die meisten Patientinnen und Patienten sind sehr umgänglich und mit anderen ist es zwar komplizierter, doch das wird in jedem Bereich wohl so sein.
Zurzeit begleite ich die Patientinnen und Patienten oft zu Terminen bei Ärzten oder Behörden, unterstütze sie in lebenspraktischen Bereichen und vermittele ihnen Sicherheit. Vor allem aber leiste ich viel Motivationsarbeit und sorge für eine ausreichende Freizeitgestaltung. Des Weiteren bin ich u.a. für die Alkohol- und Drogentests zuständig. Auch Bürotätigkeiten gehören zu meinem Aufgabenbereich, was gar nicht so langweilig ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Besonders interessant fand ich den Einblick in die therapeutischen Angebote. Ob es sich nun um Einzel- und Gruppentherapien oder Behandlungskonferenzen handelt, jede Therapie hatte einen eigenen Schwerpunkt und wurde sehr interessant gestaltet.
Letztendlich habe ich in diesem einen Jahr nicht nur viel über die einzelnen Krankheitsbilder gelernt, sondern bin auch persönlich gereift. Ich habe viele Menschen mit interessanten Lebensgeschichten kennengelernt, sowohl unter den Patientinnen und Patienten, als auch unter den Mitarbeitenden, und ich habe bemerkt, wie schmal der Grat zwischen diesen zwei Gruppen ist. Sie alle haben mich geprägt und mich geformt. Inzwischen kann ich von mir behaupten, eindeutig selbstbewusster, selbstständiger und offener zu sein. Neue Situationen stressen mich nicht mehr so sehr und ich habe gelernt, mich auf Situationen einzulassen, die auf den ersten Blick nicht so spannend aussehen.
Psychiatrie und Sucht bei Bethel